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Ein reiches industrielles Erbe, das es zu bewahren gilt

Der Stadt Biel sieht man an, dass sie eine Industriestadt war und ist. Dies unterscheidet sie, neben ihrer Zweisprachigkeit, von den meisten anderen Schweizer Städten. Zahlreiche Industriegebäude, Fabriken, Uhrenmanufakturen und Hallen, manche über hundert Jahre alt, andere erst kürzlich erbaut, prägen das Stadtbild. Hinter ihren Mauern haben Frauen und Männer aus allen sozialen Schichten im Lauf der Jahrzehnte Metallteile, mikroskopisch kleine Teile, Autos und Uhren produziert. Einige Gebäude stehen immer noch, wurden aufgewertet und umgebaut, andere sind neuen Projekten gewichen. Für die städtischen Behörden soll dieses industrielle Erbe, wo immer möglich, sichtbar gemacht werden. Es verkörpert die Grundlage der Bieler Werte, einer innovativen und weltoffenen Arbeiterstadt, sowohl in Bezug auf ihre Exporte wie auch auf ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

Gebäude Aiguilla, Bözingenstrasse © Quentin Blanchard

Seit sich die Uhrenindustrie in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Biel angesiedelt hat, schaut die Stadt ständig vorwärts. Natürlich gab es diese Bewegung, in unterschiedlicher Ausprägung, in allen Schweizer Städten und im industrialisierten Europa. Während zahlreiche andere Schweizer Städte in dieser Vorwärtsbewegung zum Modernismus ihren Status als Patrizierstädte mit jahrhundertealten Mauern verherrlichten, trennte sich Biel von seiner Vergangenheit und wuchs in den Ebenen, neben seiner Altstadt, entsprechend den Bedürfnissen der Wirtschaft. Vom Bau eines modernen Quartiers beim Bahnhofausgang bis zum Abbruch wertvoller, jedoch nicht mehr den damaligen Bedürfnissen entsprechender Gebäude, die Spuren dieses Zeitgeistes haben die Stadt in den letzten 170 Jahren geprägt, im guten – und manchmal auch im schlechten Sinn.

Industrieller Charakter

Der industrielle Charakter Biels wird auch darin sichtbar, wie es sich im Rhythmus der Wirtschaftskrisen entwickelt hat. Denn in der Tat sind es die Krisen und ihre dramatischen Auswirkungen, die nicht nur die Industriellen dazu drängten, ihre Produktionstechniken zu überdenken und neue zu entwickeln, sondern auch die Behörden, neue Visionen der Stadt zu definieren oder zumindest alternative städtebauliche Modelle in Betracht zu ziehen. Wieder zum Wachstum zurückzukehren war immer eines der wichtigsten Ziele, das breit unterstützt wurde, auch von der Linken und den Gewerkschaften, die darin sehr oft ein Mittel sahen, die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verbessern.

So bietet Biel anlässlich der Wirtschaftskrise der 1870er-Jahre, welche die ersten Formen der Uhrenproduktion lähmt, den Unternehmern die Möglichkeit, die ersten grossen Manufakturen in der Nähe der Arbeitskräfte zu bauen. Als in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen der Fordismus zur dominierenden industriellen Produktionsart wird, schaffen die sozialistischen Behörden entschieden die Grundlagen für eine moderne Architektur im neuen Bahnhofquartier und übernehmen das Prinzip der Zonenplanung für das ganze Stadtgebiet. Als sich die Uhrenindustrie in den 1990er-Jahren nach den grossen Umwälzungen der letzten 10 Jahre endlich langsam wieder erholt und der dritte Sektor den zweiten definitiv überholt, fördert die Stadt die industriellen Aktivitäten auf den Grundstücken im Bözingenfeld und wertet gleichzeitig die ehemaligen Brachen im Stadtzentrum auf, manchmal auf Kosten bestehender Industriegebäude.

«Amerikanische Stadt»

Die Zweisprachigkeit, die Weltoffenheit und vor allem die Akzeptanz für Innovationen sind charakteristisch für die Geisteshaltung, die der Bieler Schriftsteller Jörg Steiner zusammenfasste, indem er Biel als «amerikanische Stadt» bezeichnete. Dieser Aufbruch in die Zukunft, dieses Vertrauen auf bessere Zeiten ist, in der Schweiz, ein spezifisches Merkmal von Biel.

Natürlich war diese Dynamik nicht immer positiv und glücklich. Man denke nur an die Immobiliengeschäfte, die ab der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts manchmal in einem «wilden» Städtebau endeten und zum Abbruch geschichtlich wertvoller Gebäude der Stadt führten.

Industrieerbe erhalten

Angesichts der aktuellen Umweltproblematik sowie des Wunsches, das charakteristische industrielle Erbe Biels zu erhalten, ruft die Stadt gemeinsam mit dem Verein reUsine die Besitzerinnen und Besitzer von Immobilien und Grundstücken auf, nach Möglichkeit auf den Abbruch alter Fabriken zu verzichten. «Das Bieler Industrieerbe liegt mir am Herzen, denn es bildet die Grundlage für das, was wir sind, und für die Werte unserer innovativen und weltoffenen Arbeiterstadt, sowohl in Bezug auf ihre Exporte wie auch auf ihre Bewohnerinnen und Bewohner», unterstreicht der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr.

Dies umso mehr, als die Erstellung von Neubauten oder der Bau neuer Strassen und Leitungen mit einem erheblichen Energieverbrauch und hohen Kosten verbunden sind. Deshalb hat sich die Stadt Biel zum Ziel gesetzt, neue Quartiere nach Möglichkeit auf der bestehenden Struktur zu planen, um von den verfügbaren Infrastrukturen zu profitieren und die Bauten so lange wie möglich nutzen zu können.

Sensibilisierung

In diesem Sinne ist es wichtig, das bauliche Erbe weiter zu entwickeln, neu zu nutzen, zu ergänzen, anzupassen und zu renovieren, damit es den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen entspricht, insbesondere hinsichtlich Energie und Nachhaltigkeit, dabei aber gleichzeitig die geschichtliche Verwurzelung und die soziale Verbundenheit zu bewahren. Aus der Kombination von Alt und Neu kann Hochwertiges und eine grosse Vielfalt entstehen, dies setzt jedoch seitens aller am Bau Beteiligten auch viel Wille und Kreativität voraus. Umso mehr, als die übergeordnete Gesetzgebung (Kanton und Bund) dem Eigentumsrecht einen sehr hohen Stellenwert beimisst und den Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern weitgehende Rechte einräumt.

Nach einem Treffen zwischen der Stadt Biel und reUsine im Januar 2023 war man sich einig, dass es wichtig ist, die Grundeigentümerinnen, Investoren, Architektinnen, Planer und die Bevölkerung auf die Bedeutung des baulichen Erbes zu sensibilisieren, sowohl in Bezug auf die Geschichte wie auch die Nachhaltigkeit, insbesondere die graue Energie.

So können nun geführte Stadtbesichtigungen gebucht werden: parcours-bielbienne.ch.

Gemeinsame Medienmitteilung der Stadt Biel und reUsine : Konstruktive Diskussion zur Bedeutung des Bieler Industrieerbes